Wie geht man mit den harten Seiten des Lebens um? Die wirkmächtigste Antwort auf diese Frage hat die Geschichte von Jesus Christus gegeben. Ich analysiere, wie das Echo dieser Geschichte im Film «Die Verurteilten» («The Shawshank Redemption») virtuos aufgegriffen wird.
Obacht: Wer sich «Die Verurteilten» erst noch spoilerfrei ankucken möchte, sollte hier erst danach weiterlesen.
«Die erste Nacht ist die schlimmste, das steht einwandfrei fest. Sie lassen dich nackt einmarschieren, wie am Tag, als du geboren wurdest. Die Haut brennt dir und du bist halb blind von dem Entlausungsscheiss, mit dem sie dich bewerfen. Und wenn sie dich in deine Zelle stecken und das Gitter krachend zuschlägt, weisst du, dass das kein Traum ist. Im Bruchteil einer Sekunde ist dein Leben dahin. Nichts ist mehr davon übrig. Du hast nun alle Zeit der Welt, um darüber nachzudenken.»
Betrogen, entwürdigt, unschuldig verurteilt und bestraft, lebenslang eingesperrt, geächtet, verspottet, beschimpft, geschlagen, gefoltert, vergewaltigt – Andy Dufresne bleibt nichts erspart. Als wäre es nicht schon genug, dass seine Frau ihn mit einem anderen betrügt – als sie und ihr Liebhaber tot aufgefunden werden, bekommt Andy dafür zweifach lebenslänglich, obwohl er die Tat nicht begangen hat. Und als wäre das noch nicht genug, landet Andy dann auch noch in Shawshank, einem knallharten Knast mit grausamen, sadistischen Aufsehern und Insassen, und die psychische und physische Gewalt prasselt nur so auf ihn nieder.
So beginnt der Film «Die Verurteilten», im Original bekannt als «The Shawshank Redemption». Der Streifen auf Basis des Romans von Stephen King zeigt uns ein Schicksal, das fürchterlicher kaum sein könnte. Wenn es einen Menschen gäbe, bei dem man es verstehen könnte, wenn er verbittert, aufgibt oder völlig ausrastet, dann wäre es Andy. Und genau darauf warten auch seine Mitinsassen. Doch sie warten vergebens. Andy akzeptiert sein Schicksal und beteiligt sich zugleich nicht an der destruktiven Gefängniskultur. Im Gegenteil: Er fängt an, den anderen Insassen und den Aufsehern Güte zu zeigen und stellt ihnen unter anderem sein Wissen als Banker zur Verfügung.
Das Echo der Bibel in „Die Verurteilten“
Die bekannteste Figur, der in einer Geschichte eine derartige Tortur widerfährt, ist Jesus Christus. Er wird nicht einfach nur unschuldig verurteilt – er ist in Wahrheit sogar der beste Mensch, den man sich vorstellen könnte. Und dieser Mensch wird nun verraten, verspottet, beschimpft, geschlagen, gefoltert und auf grausamste Weise hingerichtet, vor den Augen seiner Mutter. Grösseres Leid ist nicht denkbar. Doch Jesus akzeptiert all dies und verliert dabei seine Güte und seinen Blick nach vorne nicht. Die Folge davon: Er triumphiert über seine Tortur. Und der Glanz seines Sieges strahlt so hell, dass er in das Leben etlicher anderer hineinstrahlt, die nun eingeladen sind, sich an diesem Leben ein Beispiel zu nehmen.
Andy Dufresne tut dies. Es gelingt ihm, Licht in das endlos scheinende Dunkel von Shawshank zu bringen. «Hoffnung ist sehr gefährlich. Hoffnung kann einen Mann in den Wahnsinn treiben. Hier drin nützt sie dir nichts. Am besten, du vergisst das nie», sagt sein Gefängnisfreund Red zu ihm. Andy ist umgeben von zahlreichen Menschen, die im Umgang mit ihrer Tortur scheitern. Sie machen die Tortur für sich und andere noch schlimmer, sie geben auf, sie verbittern, werden zu Sklaven ihrer Situation. Sie werden sogar unfähig, nach der Tortur in der freien Welt weiterleben zu können; wie die Israeliten nach ihrem Auszug aus Ägypten. Doch Andy folgt stets dem Polarstern des Wahren, Guten und Schönen. Er verbessert die Beziehungen und Perspektiven zahlreicher Menschen in Shawshank.
Zwischen Akzeptanz und Konsequenz
Solange sein Fokus auf das Höchste damit vereinbar ist, sich dem System Gefängnis zu unterwerfen, tut er dies und erreicht damit viel für sich und seine Genossen. Sobald seine Werte und die Akzeptanz der Situation sowie die Loyalität zur örtlichen Autorität aber in Konflikt stehen, zeigt Andy kompromisslose Integrität und stellt sich auf die Seite des Höchsten – zum Beispiel, als er das gesamte Gefängnis mit bezaubernder Opernmusik beschallt und sich von der Gefängnisleitung nicht davon abbringen lässt. Und als ihm schliesslich trotz vorbildlichen, selbstlosen Betragens die Chance auf Gerechtigkeit durch eine Neuverhandlung seines Falls verwehrt wird, zieht Andy weiter. Denn so, wie Noah seine Arche gebaut hat, hat Andy über Jahre einen Tunnel durch die Wand gegraben und benutzt ihn, als die Zeit dazu gekommen ist.
Andy flieht letztlich durch einen 500 Meter langen Abwasserkanal – ein Bild, das seine Zeit in Shawshank noch einmal zusammenfasst, in der er durch die Hölle ging, um letztlich einen grossen Triumph zu erlangen. Und es ist wahrlich ein Triumph, denn während seiner Zeit im Gefängnis hat er nicht aufgegeben, den Ort nicht noch schlimmer gemacht, sondern sich weise vorbereitet, Kompetenz und Wissen erlangt, und bleibt so durch sein eisernes Festhalten an der Hoffnung auf das Gute auch in der freien Welt lebensfähig. Und nicht nur das: Er macht seinen Traum von einem wundervollen neuen Leben in Mexiko wahr und wird zum leuchtenden Polarstern für seine ehemaligen Mitinsassen. Und er bringt gerechtes Gericht über die in Sünde verstrickten Machthaber von Shawshank, deren Machenschaften er auffliegen lässt.
Die Geschichte der Geschichten
Die Passionsgeschichte Jesu Christi legt uns nahe, dass wir den grausamen Seiten des Lebens mitten in die Augen sehen sollen, dass wir sie demütig annehmen und in Güte und Glaube durch sie hindurchgehen sollen. Denn so können wir über sie triumphieren. Die Geschichte von «Die Verurteilten» verpackt diese Botschaft, die wichtigste Botschaft aller Zeiten, die man in dieser Form auch als Nichtchrist würdigen kann, in ein neues Gewand, und sie tut es wundervoll – nicht zuletzt, weil sie die Idee der Akzeptanz differenziert behandelt: Wenn wir an einem Ort auch mit tiefer Güte und reinem Glauben nichts erreichen, dann müssen wir uns das nicht immer bieten lassen und können auch einmal weiterziehen.
Wenn es einen «Sinn des Lebens» gibt, dann würde ich ihn darin sehen, dass man eine Einstellung zum Leben findet, die sich auch im tiefsten Tal der Tränen bewährt. Die tiefgründigsten Geschichten beschäftigen sich damit, wie so eine Einstellung aussehen und wie sie sich auswirken könnte. «Die Verurteilten» tut genau dies. Sie hat einen realistischen Blick auf das Leben und dies, was darin wirklich zählt. Sie zeigt das Leid, aber auch den Ausweg daraus, und sie tut dies auf eine Weise, die fesselt, berührt und in Erinnerung bleibt. Das ist die Aufgabe von Kunst – eine Aufgabe, die die zeitgenössische Kunst weitgehend vergessen hat. Mir hat dieser Film in der Seele wohlgetan, auf eine Weise, wie es schon ganz lange kein Film mehr getan hat. Besinnen wir uns zurück auf die Erzählkunst früherer Zeiten – denn wir brauchen sie.
«Denk immer daran, Red. Hoffnung ist eine gute Sache. Vielleicht sogar die Beste. Und gute Dinge können nicht sterben.»
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