Bild: © 2022 20th Century Studios. Alle Rechte vorbehalten.
Zwischen den Festtagen habe ich mir «Avatar 2 – The Way of Water» im Kino angesehen. Dabei kamen mir haufenweise Gedanken zum Storytelling im Film, das ich danach auch noch ausgiebig mit meinen Mitkuckern diskutierte. Hier kommt meine Analyse zur Fortsetzung des erfolgreichsten Films aller Zeiten.
Wer nicht gespoilert werden will: Bitte noch nicht lesen!
Man kann sich ganz verschiedene Dinge von einem Film erhoffen: Unterhaltung, Komik, Spass, aber auch Spannung, Denkarbeit, Inspiration. Und je nach dem, mit welchen Erwartungen und Wünschen man an eine Geschichte herangeht, kann sie einem besser oder schlechter erscheinen. Das ist ein Grund dafür, warum die Gruppe von Leuten, mit der ich mir «Avatar 2 – The Way of Water» anschaute, so gespalten war in ihrem Gesamtfazit zum Film, der von Kritikern überwiegend positiv und vom Publikum sehr positiv bewertet wurde (siehe Rotten Tomatoes).
Vorsicht Falle
Wenn man eine Geschichte schreibt, muss man einer Vielzahl von Fallen ausweichen. Eine dieser Fallen besteht darin, zu glauben, dass ein paar wenige coole Ideen eine Geschichte tragen können. Sie kann dazu führen, dass man dem «Drumherum» zu diesen Ideen zu wenig Liebe schenkt und so am Ende eine mässige Geschichte anfertigt. Die Herausforderung von James Cameron bei Avatar 2 bestand vor allem darin, zweierlei Fallen zu vermeiden: Einerseits hätte er sich zu sehr auf die «Marke» Avatar, andererseits zu sehr auf die eindrückliche Animation verlassen können.
Ganz besonders Fortsetzungen kranken häufig daran, dass die Autoren nicht mehr das rigorose Storytelling mit literweise Herzblut praktizieren, das der Vorgängerstory zu ihrem Erfolg verhalf. Dann folgen gerne mal zu gewagte Experimente oder ein liebloser Remix, der davon ausgeht, mit ein paar der bereits beliebten Elemente genug Material für eine gute Geschichte beisammen zu haben. Und wenn man bereits weiss, dass dem eigenen Film eine Fortsetzung folgen wird, so gibt es wiederum die Gefahr, dass man den Film so schreibt, dass er für sich alleine unfertig wirkt (siehe «Dune»). Inwiefern könnte James Cameron diesen gefährlichen Tendenzen erlegen sein?
Wenig Plot
Der Plot von Avatar 2 ist extrem dünn – was angesichts der grossen Anzahl von Autoren (5) besonders erstaunt. Nachdem der bereits im ersten Teil als Bösewicht eingeführte Colonel Quaritch in Na’vi-Form nach Pandora zurückkehrt, um Jake Sully zu töten, flieht dieser mit seiner Familie aus dem Wald zum Meeresvolk der Metkayina, wo er am Ende des Films wieder auf Quaritch stösst. Beide überleben den Kampf knapp und Sully beschliesst, in den Wald zurückzukehren. Dieser Plot nimmt in den drei Stunden der Laufzeit nur wenig Zeit am Anfang und am Ende ein.
Es tut einer Geschichte sehr gut, wenn sie sich zu allen Zeiten zumindest im grossen Ganzen in eine Richtung bewegt. Das tut die Geschichte aber nur zu Beginn und am Ende. Zu Beginn nehmen die Menschen ihre Eroberung Pandoras wieder auf und Jake Sully sabotiert mit seinen Kriegern die Operation. Nach der Entführung seines Adoptivsohns Miles, der sich als Sohn von Bösewicht Quaritch herausstellt, beschliesst Sully, zu fliehen. Dieses Ziel erreicht er sehr schnell und ohne grössere Hürden. Danach treibt die Geschichte im wörtlichen Sinne im Wasser dahin.
Zu viel «Meeresdoku»
Der Plot von Avatar 2 ist in erster Linie ein kümmerliches Gerüst, an dem Cameron seine beeindruckenden Animationen mit 3D und 60 FPS aufhängt. Nachdem der Plot zum Erliegen gekommen ist, sehen wir fast nur noch Aliens, die im Meer schwimmen und mit dem Leben darin interagieren. Einen Plot mit einem Ziel gibt es nicht mehr; Cameron scheint sich darauf zu verlassen, dass seine Animationen und die Marke Avatar eine Story ersetzen können. Der andere Schauplatz, auf dem Quaritch nun mit seinem Sohn Miles unterwegs ist, hat zwar mit dem Finden von Sully ein Ziel, doch dieses tritt schnell so weit in den Hintergrund, dass auch dieser Story-Strang den Faden verliert.
Wie die hohen Bewertungen des Films zeigen, ist es nicht so, als ob das überhaupt nicht funktioniert, denn die Bilder sind wirklich beeindruckend. Cameron wird mit Absicht Wasser ins Zentrum gestellt haben, denn das bietet viele Möglichkeiten zu aufwändigen, zauberhaften Animationen. Zudem wird immerhin mit den Meerestieren ein wenig Worldbuilding geliefert und es werden einzelne Elemente eingeführt, die am Ende des Films aufgelöst werden. Allerdings sind die grösstenteils unspektakulär und andererseits wird auch einiges eingeführt, das nie oder nie befriedigend aufgelöst wird. Schauen wir uns die Stärken und Schwächen des Plots in der Übersicht an.
Plot-Schwächen
- Während der «Meeresdoku»-Phase wird mehrfach eindeutig eine Lovestory zwischen der Tochter des Häuptlings Tsireya und Sullys jüngerem Sohn Lo’ak angedeutet. Die beiden scheinen sich zwar anzufreunden, kommen sich aber bis zum Ende des Films nicht romantisch näher.
- Sullys Adoptivtochter Kiri wird mehrfach deutlich in Verbindung mit der grossen Mutter Eywa gestellt. Sie fragt sich, welche Aufgabe Eywa für sie hat, und sie erleidet einen Anfall, als sie sich beim Heiligtum des Wasservolks über eine Pflanze mit ihr verbindet. Daraufhin heisst es, ein weiterer solcher Anfall könne sie umbringen. Doch nicht nur verbindet sie sich am Ende wieder problemlos mit der grossen Mutter, sondern kann auch noch auf einmal die umgebenden Pflanzen zum Angriff einsetzen. Das ist eine ziemlich mächtige Fähigkeit, die erstens nie wirklich angedeutet wurde und so ziemlich Deus Ex Machina-mässig erscheint, die zweitens offenbar komplett ignoriert, dass die Verbindung für Kiri jetzt lebensgefährlich sein soll, und die drittens trotz ihrer Macht und Bedeutung ziemlich bedeutungslos bleibt, da sie nur auf einem kleinen Nebenschauplatz des Endkampfes ein einzelnes U-Boot ausschaltet. Ob Kiri nun weiss, was ihre Aufgabe ist, bleibt im Dunkeln.
- Kiri hat zudem mehrere Szenen, in denen sie ihrer verstorbenen Mutter aus dem ersten Teil begegnet und sich fragt, wer ihr Vater ist. Es gibt bis zum Schluss nicht den Hauch einer Auflösung zu diesen Szenen.
- Bösewicht Quaritch wird in Palpatine-in-Star-Wars-9-Manier zurückgeholt und will dann Sully töten, um quasi der Na’vi-Schlange den Kopf abzuschlagen. Sully flieht fast sofort und will mit dem Krieg nichts mehr zu tun haben, weswegen es dann nicht mehr wirklich Sinn ergibt, ihn zu töten – die Na’vi sind ohne den Anführer zurückgeblieben, der ihnen damals den Sieg brachte, und wären jetzt ein leichtes Ziel für die Menschen. Quaritch bleibt trotzdem Sully auf den Fersen, und das Militär unterstützt ihn auf diesem jetzt nur noch persönlichen Rachefeldzug voll.
- Weder der äussere noch der innere Konflikt des Protagonisten Sully vermag vom Hocker zu reissen. Das Ziel «Abhauen» gibt so gut wie nichts her, der Endkampf hat keinerlei Bedeutung, da nur das am wenigsten emotional aufgebaute Mitglied von Sullys Familie stirbt und ansonsten absolut nichts als Resultat geschieht. Die Charakterentwicklung beschränkt sich darauf, dass Sully zum Schluss gelangt, dass er nicht davonlaufen sollte. Wie er zu diesem Schluss gelangt, ist nicht nachvollziehbar.
- Während des gesamten Films geht es immer wieder darum, dass Sullys jüngerer Sohn Lo’ak sich übermütig entgegen den Anweisungen seines Vaters in den Kampf stürzt. Die beiden sprechen nie so wirklich darüber und es gibt keine Entwicklung oder Auflösung ihres Konfliktes.
- Mit der Flüssigkeit aus dem Gehirn der Walwesen, die das Altern des Menschen aufhalten soll, wird ein weltbewegendes Element eingeführt, das weder vorher noch nachher irgendeine Rolle spielt.
Plot-Stärken
- Die hohe Intelligenz der Walwesen wird betont und das Band zwischen dem ausgestossenen Wal und Lo’ak wird detailliert entwickelt. Deshalb wirkt es sehr stimmig und befriedigend, als der Ausgestossene clever und selbstlos in den Endkampf eingreift.
- Kiri kann immerhin am Ende ihre Verbindung zu Eywa nutzen, um ihre Familie zu retten. Das ist eine bessere, wenn auch immer noch mässig vorbereitete Auflösung ihrer Verbindung zu Eywa.
- Die Beziehung zwischen dem jungen Miles und dem Na’vi-Wesen, das die Erinnerungen und den Charakter seines toten Vaters enthält, ist durchaus interessant und bringt einige faszinierende Momente.
- Der Zusammenhalt der Sully-Familie wird von Anfang an stark betont und zieht sich von A bis Z als tragendes Element durch die Story.
Trotz allem: Das Rezept geht auf
Die Schwächen überwiegen im Storytelling von Avatar 2 – The Way of Water. Zugleich ist aber auch nichts dabei, was man als absoluten Genickbruch werten könnte, und es gibt auch Stärken. Sonst würden auch die hohen Wertungen keinerlei Sinn ergeben. Es scheint, als würde der Film schon allein damit punkten, dass er im Gegensatz zu zahlreichen zeitgenössischen Filmen keine platten Massnahmen zur Förderung sozialer Gerechtigkeit in den Plot hineinzwingt. Der Film wirkt, als wäre er wenige Jahre nach dem ersten Teil zu Beginn der 2010er erschienen und weckt damit womöglich in vielen Leuten eine angenehme Nostalgie.
Wie der erste Teil ist der Film ein visuelles Spektakel – was in vielen 5-Sterne-Bewertungen der Zuschauer ins Zentrum gestellt wird – und begeht keine Todsünden. Das reicht ihm zu guten Wertungen. Wie eingangs gesagt liegt es an den Erwartungen des Publikums, wie ein Film ankommt, und diese scheint Cameron erfüllt zu haben. Das ändert allerdings nichts daran, dass er haufenweise Potential verschenkt hat und der Streifen viel besser hätte sein können. Dazu hätte Cameron einiges entweder streichen oder ordentlich auflösen und den Plot verdichten sollen, damit er an Bedeutung und Nachvollziehbarkeit gewinnt, seine Richtung über die drei Stunden nicht verliert und auch abgekoppelt von Vorgänger und Fortsetzung genug Storyfleisch am Knochen hat.
Fazit: Avatar 2 kann man sich ansehen und bietet viel für’s Auge, dürfte aber nicht sonderlich in Erinnerung bleiben.
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